Modul 1: Kontroverse Themen
EINLEITUNG
Das Ziel dieses Moduls ist es, Lehrer*innen Wege aufzuzeigen, kontroverse Themen im Unterricht aufzugreifen. Das Modul bietet praktische Ansätze und Lernaktivitäten, die es Schüler*innen ermöglichen, diese Themen, in einem sicheren Rahmen kritisch zu reflektieren.
Die empfohlenen Lernaktivitäten ermöglichen eine Reflexion und Analyse des bereits vorhandenen Wissens und der Perspektiven der Schüler*innen und eröffnen einen konstruktiven und kontrollierten Austausch und Dialog innerhalb der Klasse, als einen sicheren Raum für Analysen und Debatten aktuelle Themen.
Im Zeitalter digitaler Medien sind Schüler*innen häufig mit Nachrichten, Themen und Debatten konfrontiert, die den Diskurs und die öffentliche Meinung prägen. Jedoch bleibt häufig eine tiefergehende Beschäftigung mit diesen Themen aus.
Auch in der Schule werden aktuelle Themen häufig nicht regelmäßig besprochen und behandelt. Lehrer*innen scheuen sich teils zudem, Themen zu diskutieren und zu behandeln, die kontroverse Meinungen herausfordern können. Wenn Kinder und Jugendliche jedoch nicht die Möglichkeit haben, ihre Frustration und ihre Bedenken in der Schule zum Ausdruck zu bringen, suchen sie möglicherweise nach anderen Quellen, die unzuverlässige Informationen liefern können.
Aber wie können Dialoge und Diskussionen über kontroverse Themen im Unterricht stattfinden?
Wenn man sich mit kontroversen und heiklen Themen befasst, ist es von entscheidender Bedeutung zu erkennen, dass das, was für den einen kontrovers und sensibel ist, für den anderen nicht unbedingt kontrovers sein muss. Dies ist eine grundlegende Einsicht, die jede Lehrkraft erkennen sollte, um bei den Schüler*innen das gleiche Bewusstsein zu fördern. Was als kontrovers empfunden und angesehen wird, hängt von der biographischen Geschichte, den Erfahrungen und Standpunkten einer Person, ihrer Stellung und ihren Erfahrungen in der Gesellschaft als Mehrheit oder Minderheit in Bezug auf Klasse, Ethnizität, religiöse Orientierung, Geschlecht und Sexualität sowie von anderen komplexen und miteinander verknüpften Aspekten ab.
Gleichzeitig kann das, was an einer Schule mit einer bestimmten Schüler*innengruppe, die aus einer bestimmten Gemeinschaft stammt, kontrovers sein, in einem anderen Kontext oder zu einer anderen Zeit völlig unumstritten sein (CDVEC Curriculum Development Unit, 2012). Seien es Klima und Energiequellen, Geschlechterrollen und -identitäten, religiöse Symbole und Praktiken im öffentlichen oder privaten Umfeld wie die religiöse Beschneidung von Jungen, Kreuze und Kopftücher in Schulen usw.
Das bedeutet, dass Lehrer*innen zunächst ihr eigenes Verständnis kontroverser Themen und Standpunkte reflektieren müssen. Wichtig ist dabei die vermeintlich selbstverständlichen Auffassungen von Normalität zu reflektieren und sichtbar zu machen. Lehrkräfte sind sowohl Träger als auch Erzeuger von Normen, und dieser Umstand erfordert professionelle Reflexion.
Aus diesem Grund beabsichtigt dieses Modul, Lehrer*innen Lernaktivitäten anzubieten, die mit den Schüler*innen im Unterricht für einen Meinungsaustausch und eine kritische Analyse von Standpunkten und Perspektiven einfach genutzt werden können. Die Lernaktivitäten können häufig an unterschiedliche Themen angepasst werden.
LERNZIELE
Das Modul bietet Lehrer*innen praktische Lernaktivitäten, um Schüler*innen bei Folgendem zu unterstützen:
- Kontroverse Themen auf eine “sichere” Art und Weise zu untersuchen
- Sie dazu anzuregen, über ihr eigenes bereits vorhandenes Wissen und ihre eigenen Perspektiven zu einem bestimmten Thema nachzudenken
- Einen sicheren Raum zu schaffen, um einen offenen Austausch anzuregen.
Die empfohlenen Lernaktivitäten zielen insbesondere auf Folgendes ab:
- Ermutigung zur Diskussion
- Erleichterung der Debatte
- Entwicklung von kritischem Denken
THEORETISCHER HINTERGRUND
Kontroverse Themen können als Themen definiert werden, die in der Gesellschaft starke Gefühle und Spannungen hervorrufen können („Das Unterrichten von kontroversen Themen. Paket zur beruflichen Weiterbildung für Lehrer*innen“. Europarat, 2015).
Wenn jemand über etwas spricht, das kontrovers ist, bedeutet das in der Regel, dass es mehr als nur eine einfache Meinungsverschiedenheit zwischen den Menschen darstellt. Die CDVEC Curriculum Development Unit hat die folgende Unterscheidung vorgeschlagen, welche Art von Themen als kontrovers angesehen werden können:
- Themen, die die Gesellschaft stark spalten – wie Euthanasie, wirtschaftliche Kürzungen, Sozialhilfezahlungen, Einwanderung, etc.;
- Themen, die persönliche Werte und Überzeugungen in Frage stellen – feste politische Positionen, Rassismus,Schwulenrechte;
- Themen, die konflikthafte Erklärungen hervorrufen – historische Ereignisse, Konflikte wie in Nordirland, Palästina und Israel;
- Themen, die emotionale Reaktionen hervorrufen – Verbrechen und Inhaftierung, Bildung, Abtreibung, Behinderung;
Um diese Art von Themen anzugehen, ist es von grundlegender Bedeutung, einen „sicheren“ Raum zu schaffen.
In diesem Zusammenhang bezieht sich das Konzept der „Sicherheit“ auf:
Sicherheit der Lehrer*innen
im Sinne eines sicheren Raums, der es erlaubt, das Thema, einschließlich seiner Kontroverse, zu behandeln, der den Lehrer*innen aber nicht in eine schwierige oder gefährliche Situation bringt;
Sicherheit der Schüler*innen
im Sinne eines sicheren Raums, der es den Schüler*innen ermöglicht, eine Reihe von Perspektiven zu einem Thema zu untersuchen, ohne, dass von ihnen erwartet wird, persönliche Informationen offenzulegen oder sie aufgrund ihrer Ansichten zu bestärken, dass sie sich bloßgestellt fühlen.
Im Zusammenhang mit der Diskussion kontroverser Themen im Unterricht besteht für Lehrer*innen ein erstes Hindernis darin, sich für eine bestimmte Haltung zu entscheiden.
Während einige Pädagogen dafür plädieren, dass Lehrer*innen immer eine neutrale Position einnehmen sollten, ist dies praktisch unmöglich. Wir werden unsere Perspektive immer durch den Tonfall, die verwendete Sprache und die Körpersprache verraten. Aus diesem Grund ist es vielleicht besser, eine unparteiische Haltung anzustreben. Dies ist jedoch wiederum schwer zu erreichen, insbesondere wenn die Lehrer*innen sehr feste Standpunkte zu einem Thema haben. In diesen Fällen ist es sogar angebracht, Ihre Position zu einem Thema zu erläutern, damit die Schüler*innen wissen, welche Position Sie vertreten.
Die Realität erfordert auch, dass in vielen Schulen von den Lehrer*innen erwartet wird, dass sie die offizielle Meinung vertreten. In einigen Fällen kann dies sehr nützlich sein, da es dem Lehrer*innen eine Grundposition verschafft, die er den Schüler*innen präsentieren kann.
Es könnte auch die Situation entstehen, dass Ansichten der Schüler*innen in Frage gestellt werden müssen und die Lehrer*innen dadurch in eine Gegenposition geraten. Dies ist insbesondere schwierig, wenn es so aussieht, als ob die gesamte Klasse die gleiche Ansicht vertritt. In diesem Fall können Sie absichtlich Kontroversen einbringen, um sicherzustellen, dass die Schüler*innen einem breiten Spektrum von Perspektiven ausgesetzt sind. Andererseits kann es erforderlich sein, die Ansichten eines Schüler*in zu unterstützen, dessen Meinung innerhalb der Klasse eine Minderheit darstellt, um sicherzustellen, dass seine Meinung ausreichend berücksichtigt wird.
Abschließend muss man sagen, dass es keine Antwort auf die Frage „Wo soll ich stehen?“ gibt, die immer richtig ist. Lehrer*innen sollten in jedem einzelnen Kontext reflektieren und bewerten, welche Rolle sie übernehmen sollten, um zwischen den verschiedenen Ansichten zu vermitteln, das kritische Denken der Schüler*innen anzuregen und ihnen die Freiheit zu geben, ihre Standpunkte zu äußern, ohne eine bestimmte Meinung aufzuzwingen, sondern vielmehr als Vermittler zu fungieren.
Vorschläge für die Vorbereitung der Lernaktivitäten
Auswahl des themas
Die in diesem Modul empfohlenen Lernaktivitäten enthalten kein bestimmtes Thema, das bereits vorgegeben ist, aber sie sind für alle kontroversen Themen anwendbar und anpassbar, da sie darauf abzielen, den Gedankenaustausch zwischen Schüler*innen auf kritische und sichere Weise zu erleichtern und zu leiten. Daher sollte die Lehrkraft vor Beginn das zu behandelnde Thema festlegen.
Um dies zu tun, können Lehrer*innen:
- Das Thema auswählen, je nach den speziellen Bedürfnissen der Klasse oder, allgemeiner, um Themen anzusprechen, die für die öffentliche Meinung in einem bestimmten Moment in einem bestimmten Kontext besonders relevant sind;
- Eine Reihe von Themen vorschlagen, aus denen die Schüler*innen je nach ihren Interessen wählen können;
- Es den Schüler*innen zu frei zu stellen, jedes Thema selbst auszuwählen.
Beispiele für kontroverse Themen sind:
-
Euthanasie;
-
Abtreibung;
-
Todesstrafe;
-
Nationalismus;
-
Recht auf Privatsphäre/Bedürfnis nach Sicherheit;
-
ius soli/ius sanguinis;
-
allgemeines Wahlrecht
-
Rechte eines Straftäters und Folter.
Vorab-studie
Nach der Festlegung des zu behandelnden Themas sollten sowohl Lehrer*innen als auch Schüler*innen auf die Diskussion vorbereitet werden.
Je nach dem Inhalt der Lernaktivität und dem konkreten Ziel, das die Lehrkraft erreichen möchte, kann er sich dafür entscheiden:
- Die Schüler*innen dazu auffordern, das Thema durch persönliche Recherchen zu erweitern, indem sie in Zeitungen und Websites nach Informationen suchen oder mit ihren Freunden und Familien sprechen.
- Die Schüler*innen zu bitten, eine Gruppenforschung durchzuführen
- Material für die bereits für die Schüler*innen vorbereiteten Unterlagen zur Verfügung stellen. In beiden Fällen sollte die Analyse der Daten den 3 Schritten für kritisches Denken folgen, die im Modul in Teil 1 vorgestellt werden.
- Die Lernaktivitäten, ohne jegliche Vorbereitung einzuleiten, um das bereits vorhandene Wissen der Schüler*innen zu ermitteln.
Festlegung der grundregeln
Bevor man eine Diskussion über kontroverse Themen beginnt, kann es wichtig sein, einige Grundregeln festzulegen, um sicherzustellen, dass ein „sicherer“ Raum für alle geschaffen wird. Es wird daher dringend empfohlen, dass die Schüler*innen einige Zeit damit verbringen, eine Art Klassenvereinbarung zu entwickeln, in der gemeinsame Regeln und Verhaltensweisen definiert werden, die während der Diskussionen einzuhalten sind, wie z.B. Zuhören, Respekt usw. Die Schüler*innen können dazu aufgefordert werden, diese Vereinbarung auf kreative Weise zu entwerfen, indem sie zeichnen, Mind-Maps verwenden, einen Slogan oder ein Akronym erstellen usw.
LERNAKTIVITÄTEN
Im nächsten Teil finden Sie 5 verschiedene Methoden, um ein Brainstorming zu begleiten; 5 verschiedene Wege, um eine Debatte im Unterricht zu lenken und 3 weitere Lernaktivitäten, um den Gedankenaustausch über kontroverse Themen zu erleichtern.
Die Dauer der Lernaktivitäten kann variieren, abhängig von: der Bereitschaft der Schüler*innen, ihre Ansichten zu äußern und Ideen mitzuteilen, sowie der Gruppengröße selbst. Die geschätzte Dauer liegt zwischen 30 Minuten für die einfacheren Lernaktivitäten und 1 1/2 Stunden für die komplexeren.
In den meisten Fällen braucht man keinerlei Materialien. In einigen Fällen können allerdings Papier, Stifte und Flipcharts erforderlich sein.
UNTERSTÜTZENDE MATERIALIEN UND LITERATUR
„Teaching Controversial Issues. Professional development pack for teachers“. Council of Europe, 2015,verfügbar unter http://www.worldwiseschools.ie/wp-content/uploads/2018/02/Teaching-Controversial-Issues-Professional-Development-Pack-for-Teachers-Council-of-Europe.pdf
“Domino – A manual to use peer group education as a means to fight racism, xenophobia, anti-semitism and intolerance”. Council of Europe, Third edition, 2005
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Coordinator – Centro per lo Sviluppo Creativo Danilo Dolci – Italy
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