Zeichnen Sie einen Baum auf ein Blatt Papier, der ihre eigene persönliche Kultur repräsentieren soll. Bitte versuchen Sie, für die folgenden drei Teile des Baumes Begriffe zu finden, die Ihren eigenen kulturellen Hintergrund repräsentieren, und schreiben Sie sie neben dem Baum:
- Wurzeln = Begriffe, die ihre Herkunft, ihr Zugehörigkeitsgefühl zu kulturellen Gruppen ausdrücken
- Stamm = Begriffe, die für Sie relevante Werte aus ihrem eigenen kulturellen Kontext repräsentieren
- Blätter = Begriffe, die sichtbare Zeichen ihrer persönlichen Kultur ausdrücken (z.B. Begriffe aus ihrer Esskultur, kulturelle Feste usw.)
Nachdem Sie diesen Teil abgeschlossen haben, denken Sie bitte über die folgenden Fragen nach:
- War es einfach, die kulturelle Gruppe zu definieren, zu der Sie sich zugehörig fühlen? Haben Sie mehrere Gruppen ausgewählt?
- Sind Sie der Meinung, dass die von Ihnen gewählten Werte und Zeichen „typisch“ für Ihre kulturelle Herkunft sind?
- Fühlen Sie sich mit dem sichtbaren Teil ihres kulturellen Hintergrunds wohl oder möchten Sie diesen eher „unsichtbar“ halten? Warum? In welchen Situationen?
- Wie würde der Kulturbaum ihrer Schulklasse möglicherweise aussehen?
Nachdem Sie über die Fragen nachgedacht haben, lesen Sie bitte im Folgenden die Schlussfolgerungen zu dieser Übung:
Kulturelle Identität ist nicht gleichzusetzen mit Nationalität oder Ethnizität
Vielen Menschen fällt es schwer, eine bestimmte kulturelle Gruppe für sich selbst zu definieren. Im Wurzelteil Ihres Baumes haben Sie vielleicht Ihren nationalen oder ethnischen Hintergrund genannt oder aber Sie haben eine Stadt oder eine bestimmte Region oder sogar eine Fangemeinde genannt. Das ist nicht verwunderlich, denn wir gehören vielen verschiedenen Kulturkreisen an. Kulturelle Identität ist nicht allein durch Nationalkultur bestimmt: zwar gibt es auch geteilte Aspekte einer „deutschen Kultur“, oft ist Kultur aber auch andere Zugehörigkeiten wie z.B. durch Regionalkultur (z.B. Ost-West-Unterschiede innerhalb Deutschlands), Stadt-Land-Kultur, Familienkultur, Fankultur geprägt. Menschen haben also eine kulturelle Mehrfachidentität, sie können sich auch bewusst entscheiden kulturelle Praktiken anzunehmen oder abzulehnen (Persönlichkeitsaspekt)
Kultur ist dynamisch und veränderbar
Vielleicht haben Sie auch das Gefühl, dass sich Ihr kultureller Hintergrund und Ihre Werte im Laufe des Lebens verändert haben (z.B. Werte aus der Familientradition vs. Werte im späteren Erwachsenenleben, Veränderungen in den kulturellen Traditionen beim Umzug). Kultur ist dynamisch und veränderbar: wir befinden uns in einem ständigen Lernprozess in Auseinandersetzung mit der uns umgebenden Kultur, Kultur wandelt sich mit den Menschen, Kultur wandelt sich insbesondere in einer durch Globalisierung geprägten Welt sehr schnell.
Kultur kann mit Stereotypen in Verbindung gebracht werden
Menschen neigen dazu, Kultur mit Stereotypen zu verbinden. Sie haben vielleicht selbst schonmal eine Situation erlebt, in der jemand Sie aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds in eine Schublade gesteckt hat. Gleichzeitig müssen wir uns der Vorannahmen bewusst sein, die wir über andere kulturelle Gruppen haben. Wenn wir Menschen aus anderen Kulturen begegnen, neigen wir dazu, aus dem „sichtbaren“ Teil ihrer Kultur Rückschlüsse auf ihr mögliches Verhalten oder auf ihre Werte zu ziehen. Diese Annahmen können unsere Wahrnehmung von Angehörigen dieser Kulturen verzerren. Die Folgen sind Stigmatisierung, Stereotypisierung und im schlimmsten Fall sogar Diskriminierung. Besonders (aber nicht nur) wenn ihre Schule von einer hohen kulturellen Diversität gekennzeichnet ist, sollten Sie kontinuierlich ihre eigene Wahrnehmung verschiedener kultureller Gruppen reflektieren.
In diesem Zusammenhang kann das „Eisbergmodell der Kultur“ verwendet werden, um zu veranschaulichen, wie die sichtbaren und die unsichtbaren Elemente von Kultur zusammenspielen.
Das Eisbergmodell von Kultur
Eines der bekanntesten Kulturmodelle ist die Darstellung des Kulturbegriffes in Form eines Eisbergs. Das wichtigste Kennzeichen dieses Modells ist, dass einige Elemente von Kultur gut sichtbar sind, während andere „unter der Oberfläche“ verborgen sind und nicht unmittelbar zugänglich sind.
In diesem Modell wird Kultur als Eisberg dargestellt: nur ein sehr kleiner Teil des Eisbergs ist oberhalb der Wasserlinie zu sehen. Diese Spitze des Eisbergs wird vom viel größeren Teil des Eisbergs unterhalb der Wasserlinie getragen und ist daher unsichtbar. Dennoch ist dieser untere Teil des Eisbergs das mächtige Fundament. Auch in der uns umgebenden Kultur gibt es einige sichtbare Anteile: Architektur, Kunst, Kochen, Musik, Sprache, um nur einige zu nennen. Aber die tieferen Grundlagen von Kultur sind schwieriger zu erkennen: die Geschichte der Gruppe von Menschen, die sich einer Kultur zugehörig fühlen, ihre Normen, Werte, Grundannahmen über Raum, Natur, Zeit usw.
Das Eisbergmodell impliziert, dass die sichtbaren Teile der Kultur nur Ausdruck ihrer unsichtbaren Teile sind. Es wird implizit mit dem Modell auch darauf hingewiesen, wie schwierig es manchmal ist, Menschen mit anderem kulturellem Hintergrund zu verstehen – denn wir können die sichtbaren Teile „ihres Eisbergs“ erkennen, aber wir können nicht sofort die Grundlagen sehen, auf denen diese Teile ruhen. Andersherum können wir auch leicht von den sichtbaren Teilen auf unsichtbare Anteile schleißen, die wir aber nicht unmittelbar auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen können, da sich dieser Bereich dem unmittelbar Sichtbaren entzieht.